Digital unterwegs: Mediale Lebenswelten von Grundschülerinnen und Grundschülern
Über die Mediensozialisation von Kindern und der erzieherischen Verantwortung ihrer Eltern und Lehrenden
„Sport fällt heute aus“, tippt Roman eilig in sein Handy. Er hat das gebrauchte Smartphone erst vor einem Jahr von seinen Eltern bekommen, damit er für sie erreichbar ist. Roman ist 9 Jahre alt und nutzt es seither wie jeder Zweite seiner Mitschüler vor allem zum Versenden von Nachrichten und Telefonieren (KIM 2016). In der Grundschule darf Roman sein Mobiltelefon eigentlich nicht nutzen, ab und zu schaut er in der Pause aber dann doch nach, ob sein Freund ihm geschrieben hat.
Für Kinder wie Roman gehören digitale Medien ganz selbstverständlich zum Alltag. Auf Platz 1 ihrer liebsten medialen Freizeitbeschäftigungen steht nach wie vor das Fernsehen. Nahezu jedes Kind schaut täglich oder mindestens einmal pro Woche etwa 78 Minuten fern. Aber der Fernseher ist nicht das einzige Gerät, das Kindern zuhause zur Verfügung steht. Im Haushalt der Eltern finden sich daneben auch Computer beziehungsweise Laptop, Spielekonsolen und Abspielgeräte für Musik. Digitale Medien sind aus dem familiären Zusammenleben nicht mehr wegzudenken und nehmen Einfluss auf die Gestaltung des gemeinsamen Alltags und sozialer Beziehungen.
Digitale Medien spielen im familären Alltag eine große Rolle
Während Eltern die Medienerfahrungen ihrer Kinder in den ersten Jahren aufmerksam mitverfolgen, nimmt die elterliche Begleitung ab dem Grundschulalter ab (Deutsches Jugendinstitut (2015): Digitale Medien: Beratungs-, Handlungs- und Regulierungsbedarf aus Elternperspektive). Die Schülerinnen und Schüler erschließen sich digitale Freiräume, nicht zuletzt mit den eigenen Handys, die bis zum 13. Lebensjahr etwa acht von zehn Heranwachsenden besitzen. Die ständige Verfügbarkeit internetfähiger Geräte und kostengünstige Internetanbieter sorgen dafür, dass ab der 2. Klasse etwa die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler online ist. Mit der Einschulung der Kinder wird das alltägliche Familienleben vor neue Herausforderungen gestellt.
Wenn Roman sich im Internet aufhält, schaut er am liebsten Videos auf YouTube. Er darf täglich etwa eine halbe Stunde surfen. Was er im Netz erlebt, erzählt er am nächsten Tag seinen Freunden auf dem Pausenhof. Auch Onlinespiele erfreuen sich großer Beliebtheit unter den 6-13-Jährigen. So gehört neben den Kinderseiten von TOGGO und KIKA auch die werbefinanzierte Internetplattform Spielaffe zu den beliebtesten Angeboten (KIM 2016). Computer und Internet werden bis zum Eintreten in die Sekundarstufe nicht nur stetig mehr und häufiger genutzt, sie erlangen auch zunehmend Bedeutung. So halten Laptops und Tablets Einzug in den Unterricht und werden auch für die Recherche oder Bearbeitung von Hausaufgaben für die Schule genutzt (vgl. ebd.).
Aber gerade freie Zeit ist für Kinder oftmals Medienzeit. Für Eltern bedeutet die zunehmende Mediennutzung ihrer Kinder vor allem ein Zuwachs an Verantwortung. Ein Großteil der Erwachsenen nimmt diese erzieherische Aufgabe an und schätzt sich grundsätzlich medienkompetent ein, auch wenn die Kompetenzzuschreibung mit zunehmendem Alter des Kindes abnimmt (Deutsches Jugendinstitut (2015): Digitale Medien: Beratungs-, Handlungs- und Regulierungsbedarf aus Elternperspektive). Dennoch sehen diese auch die Schulen in der Pflicht, die Heranwachsenden im kompetenten Umgang mit digitalen Medien und dem Internet zu schulen. Knapp die Hälfte der Erziehungsberichtigten hält digitale Medienbildung in der Grundschule für dringend erforderlich (Allensbach-Studie: Digitale Medienbildung in der Grundschule). So richten sie offene Fragen zur Medienerziehung und Regulierung des Mediengebrauchs ihrer Kinder nicht nur an das eigene soziale Umfeld und Ratgeber im Internet, sondern vor allem auch an sozialräumliche Einrichtungen und Bildungsinstitutionen.
In der Grundschule werden digitale Medien nur vereinzelt zum Lernen eingesetzt
Auch 53% der Lehrkräfte finden, dass die Medienkompetenz von Schülerinnen und Schülern schon in der Grundschule gefördert werden sollte (vgl. ebd.). Aber nur etwa jedes fünfte Kind der 6-8-Jährigen arbeitet im Unterricht regelmäßig am Computer. Dort beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit dem Recherchieren und Suchen von Informationen im Internet, mit dem Schreiben und Rechnen oder mit Lernanwendungen. Der kreative Umgang mit digitalen Medien findet in der Grundschule indes kaum statt (DIVSI | U9-Studie | Kinder in der digitalen Welt, S. 84). Gerade mit Blick auf Kinder aus Elternhäusern, in denen digitale Medien keine große Rolle spielen, wird die Verantwortung der Schule deutlich. So fasst ein Lehrer für die U9-Studie: Kinder in der digitalen Welt zusammen: „Es ist ein sehr heikles Thema. In der Grundschule greift das um sich, und es gibt einfach Kinder, die kommen damit nicht in Berührung, auch nicht vom Elternhaus aus. Wenn sie dann in Berührung kommen, ist es nur Fernsehen und in der Regel negativ. Die positiven Seiten der digitalen Medien werden gar nicht aufgezeigt.“
Wo Eltern ihrer Erzieherrolle also nicht gerecht werden (können), sind die Lehrkräfte umso dringlicher gefragt. Mehrere Studien bestätigen eine positive und offene Haltung von Lehrerinnen und Lehrern gegenüber digitalen Medien im Unterricht (Initiative D21 (2014): Medienbildung an deutschen Schulen. Handlungsempfehlungen für die digitale Gesellschaft; BITKOM Studie „Digitale Schule“), machen jedoch deutlich, dass es hierbei eine Reihe an offenen Fragen zu klären gibt. So wird vor allem diskutiert, welche Ziele die Medienkompetenzförderung verfolge und insbesondere, welche Kompetenzen für den souveränen Umgang gefördert werden sollen. Dies gelinge nur mit einem entsprechenden infrastrukturellen Rahmen, technischer Ausstattung und der Fähigkeit, die vorhandene Technik auch bedienen zu können. Darum ist das Interesse an Fortbildungsveranstaltungen zum Thema erwartungsgemäß groß (Allensbach-Studie: Digitale Medienbildung in der Grundschule, S. 47).
Für Roman ist auf jeden Fall schon klar, dass er später mal etwas mit digitalen Medien machen will: „Ich werde YouTube-Star! Ich habe einen eigenen Kanal mit Let’s Play Videos eingerichtet und schon zehn Abonennten.“
Sendereihe angedockt: Medienbildung Hamburg diskutiert Medienbildung in Hamburger Grundschulen
Unter welchen Bedingungen Medienbildung in der Grundschule gelingen kann, was bereits an Hamburger Schulen zum Thema passiert und welche Schwerpunkte dabei gesetzt werden, wird am 29. Juni 2017 um 16 Uhr in der nächsten Sendung von angedockt: Medienbildung Hamburg diskutiert. Zu Gast in der Stadtteilschule Alter Teichweg sind
- Martin Brause, Chief Digital Officer, Behörde für Schule und Bildung
- Prof. Dr. Rudolf Kammerl, Lehrstuhl für Medienpädagogik Erlangen-Nürnberg
- Christina Rütten, Lehrerin Grundschule Alter Teichweg
Weitere Informationen unter: http://www.mediennetz-hamburg.de/?pid=1928
Weiterführende Links
BMBF (2014): Familienreport 2014. „Familie im Zentrum der Digitalisierung“ https://www.bmfsfj.de/blob/93784/e1e3be71bd501521ba2c2a3da2dca8bc/familienreport-2014-data.pdf
Deutsches Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (2015): U9-Studie. Kinder in der digitalen Welt https://www.divsi.de/wp-content/uploads/2015/06/U9-Studie-DIVSI-web.pdf
Deutsches Jugendinstitut (2016): Digitale Medien: Beratungs-, Handlungs- und Regulierungsbedarf aus Elternperspektive http://www.dji.de/fileadmin/user_upload/www-kinderseiten/1176/DJI-Digitale-Medien-Eltern-Kongress_Net_Children_2020_deutsch.pdf
Institut für Demoskopie Allensbach (2014): Digitale Medienbildung in Grundschule und Kindergarten https://www.telekom-stiftung.de/sites/default/files//dts-library/materialien/pdf/ergebnisse_allensbach-umfrage_gesamt.pdf
MA HSH (2016): Scout Magazin: Wie Grundschüler das Medien-ABC lernen https://www.scout-magazin.de/printausgaben/wie-grundschueler-das-medien-abc-lernen.html
MA HSH (2017): Scout Magazin: Liebe Eltern, wir müssen reden https://www.scout-magazin.de/printausgaben/liebe-eltern-wir-muessen-reden.html
MPFS (2016): KIM Studie https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2016/KIM_2016_Web-PDF.pdf